Oder wie die Lehrerinnen täglich dazu beitragen, Schüler fit für eine selbstbestimmte Zukunft zu machen.
Liebe Grundschullehrer*innen,
Derzeit hört man es aus alles Richtungen nur so schallen. Ein Viertel der 4. Klässler erreichen nur ungenügende Lesekompetenzen. Im Prinzip zeigt die IGLU Studie damit ein Scheitern der Lehrerschaft und der Grundschule. Oder etwa nicht?
Die Fähigkeit zu lesen ist ein magischer Schlüssel, der die Türen zu unbegrenztem Wissen, Fantasie und Bildung öffnet. Als Lehrerin hast du die einzigartige Möglichkeit, deinen Schülern die Bedeutung des Lesens nahezubringen und mit ihnen ein solides Fundament für ihren Bildungserfolg zu legen.

In diesem Artikel möchten wir verdeutlichen, warum Lesen eine grundlegende Kompetenz ist und wie es das Lernen und die Entwicklung der Schülerinnen und Schüler nachhaltig beeinflusst. Aber wir möchten auch zeigen, wo Lesen beginnt, und was sinnvoll ist, damit Schüler möglichst erfolgreich lesen lernen. Denn vielleicht gibt dass ein paar Anhaltspunkte dazu, wie Schule sein müsste, damit mehr Schüler erfolgreich lesen lernen.
Hier gibt es erst einmal 5 Gründe, warum Lesen so wichtig ist, auch wenn viele Schüler vielleicht glauben, dass man heutzutage auch gut ohne viel zu lesen überleben kann.
- Lesen als Schlüssel zur Welt: Lesen ist nicht nur das Erkennen und Dekodieren von Buchstaben, sondern eine Tür zur Welt des Wissens. Durch das Lesen können Kinder neue Welten entdecken, verschiedene Kulturen kennenlernen und in die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft reisen. Es erweitert ihren Horizont und ermöglicht es ihnen, über ihre eigenen Erfahrungen hinauszuwachsen. Lesend kann ich hinterfragen und überprüfen, erforschen und strukturieren, was um mich herum passiert.
- Sprachliche Entwicklung und Kommunikationsfähigkeiten: Das Lesen spielt eine entscheidende Rolle in der sprachlichen Entwicklung der Kinder. Durch das Lesen bauen sie ihren Wortschatz aus, verbessern ihre Grammatik und erweitern ihr Verständnis für Sprache. Dies wirkt sich positiv auf ihre Kommunikationsfähigkeiten aus und ermöglicht es ihnen, ihre Gedanken und Ideen effektiv auszudrücken. Dieser Punkt verdeutlicht auch, warum sich viele Schüler mit dem Lesen und Verstehen von dem, was sie lesen, so schwertun. Heute ist es einfach nicht mehr die Ausgangslage, dass alle Schüler einer Klasse ein ausreichend vielfältiges Grundvokabular mitbringen, um darauf ein Leseverstehen aufbauen zu können.
- Lesen als Grundlage für das Lernen in anderen Fächern: Lesen ist nicht nur in der Sprach- und Literaturunterricht wichtig, sondern auch in allen anderen Fächern. Ob Mathematik, Naturwissenschaften oder Geschichte – das Verständnis von Texten und das Lesen von Anweisungen sind unerlässlich, um erfolgreich in anderen Bereichen zu lernen. Lesen unterstützt die Schülerinnen und Schüler dabei, Informationen aufzunehmen, zu verstehen und anzuwenden. Hier liegt ein Kreuz und gleichzeitig eine Chance begraben: Wenn Lesen in allen Fächern notwendig ist, was könnten dann auch Fachlehrer dazu beitragen, dass die Schüler ihre Lesekompetenzen verbessern? Sprachsensibler Fachunterricht wird zukünftig sicher eine Schlüsselrolle einnehmen.
- Förderung der Vorstellungskraft und Kreativität: Beim Lesen tauchen Kinder in faszinierende Geschichten ein und erschaffen in ihrer Vorstellungskraft ganze Welten. Das Lesen von Literatur weckt ihre Kreativität, fördert das kritische Denken und ermutigt sie, ihre eigene Fantasie zu entfalten. Es regt ihre Neugier an und unterstützt sie dabei, ihre eigenen Ideen zu entwickeln und auszudrücken. Kreativität ist neben Empathie und Emotionaler Intelligenz, eine der der wichtigsten Problemlösungskompetenzen überhaupt.
- Lesen als Quelle der Inspiration und Empathie: Durch das Lesen von Geschichten können Kinder unterschiedliche Perspektiven und Lebenserfahrungen kennenlernen. Sie können sich in die Gedanken und Gefühle anderer Menschen einfühlen und Empathie entwickeln. Diese Fähigkeit ist von unschätzbarem Wert für ein harmonisches Miteinander in der Gesellschaft und bietet so auch die Chance zur Entwicklung der emotionalen Intelligenz.
Grundlagen: Was brauchen Kinder bevor sie anfangen zu lesen?
Bevor Kinder mit dem Lesen beginnen, ist es wichtig, dass sie einige grundlegende Voraussetzungen entwickeln. Hier sind einige Schlüsselgrundlagen, die Kinder erwerben sollten, bevor sie mit dem Lesenlernen beginnen, die der Lehrkraft und den Eltern helfen können, zu identifizieren, welche Kompetenzen vielleicht noch nicht genügend ausgereift sind.

- Phonologische Bewusstheit: Dies bezieht sich auf die Fähigkeit, die Klänge in der gesprochenen Sprache zu erkennen und zu manipulieren. Kinder sollten in der Lage sein, Laute in Wörtern zu identifizieren, Reime zu erkennen, Silben zu segmentieren und zu verschmelzen sowie Anfangs- und Endlaute zu identifizieren. Das Bewusstsein für die Lautstruktur der Sprache bildet die Grundlage für das Erlernen der Buchstaben- und Klangverbindungen beim Lesen. Wenn ein Kind Deutsch nicht als Muttersprache gelernt hat, ist besonders wichtig, sicherzustellen, dass es phonologisch bewußt Laute und Silben unterscheiden kann, sowie diese in einem Grundvokabular wiedererkennen und in ihrer Position definieren kann.
- Buchstabenkenntnis: Kinder sollten mit dem Alphabet vertraut sein und die Buchstaben und ihre grundlegenden Lautwerte kennen. Es ist wichtig, dass sie die visuelle Form der Buchstaben erkennen und mit ihren Lauten in Verbindung bringen können. Das Buchstabenerkennen ist eine grundlegende Fertigkeit für das Lesenlernens. Und diese Fertigkeit kann man spielerisch mit Schülern oder dem eigenen Kind trainieren.
- Sprachverständnis: Ein solides Verständnis der gesprochenen Sprache ist wichtig, da Lesen auf dem Verständnis von Wörtern und Sätzen basiert. Kinder sollten in der Lage sein, Anweisungen zu verstehen, einfache Geschichten zu folgen und Informationen aus dem gesprochenen Wort zu extrahieren. Ein umfangreiches Vokabular und ein Verständnis für grammatikalische Strukturen erleichtern das Lesenlernen. Viele Schüler bringen diese Grundkenntnisse heute nicht mit in den Unterricht und so ist es wichtig, Anweisungen und Vokabular regelmäßig zu trainieren und als festen Bestandteil im Unterricht mit aufzunehmen.
- Visuelle Wahrnehmung und Aufmerksamkeit: Kinder sollten über eine gute visuelle Wahrnehmungsfähigkeit verfügen, um Buchstaben und Wörter korrekt zu erkennen. Eine angemessene Aufmerksamkeitsspanne und Konzentration sind ebenfalls wichtig, um den Leseprozess effektiv zu unterstützen. Aufmerksamkeit, Konzentration, Organisation des eigenen Körpers und auch die Raumwahrnehmung sind eng gekoppelt an die reife des vestibulären Systems. Wenn Schüler dieses System noch nicht ausreichend entwickelt haben, kann man sagen, dass Unterricht, bei dem sie nur am Tisch sitzend, ohne Bewegung, versuchen sollen Lesen zu lernen, kontraproduktiv ist. Besonders Kinder, die in einer bewegungsarmen Umwelt aufwachsen, viel Sitzen und wenig Spiel und Sportmöglichkeiten haben, tun sich in der Schule schwer, die Buchstaben in den Schreiblinien und mit korrekter Schreibrichtung zu platzieren. Hier helfen konkrete Bewegungsangebote eher weiter, als endlose Schreibblätter. Beachte: Schüler machen Fehler nicht, weil sie dem Lehrer mehr Korrektur aufs Auge drücken wollen: meist machen sie Fehler, weil sie etwas wirklich noch nicht besser können.
- Feinmotorische Fähigkeiten: Das Erlernen des Lesens erfordert auch eine gewisse Feinmotorik, insbesondere beim Schreiben und Verbinden von Buchstaben. Kinder sollten über ausreichende Feinmotorik verfügen, um Buchstaben zu schreiben und Buchstabenverbindungen zu bilden. Auch diese kann man gut mit unterschiedlichen Bewegungsangeboten verbinden. Denn nur wenn beide Gehirnhälften schon gut miteinander Arbeiten, kann die Auge-Hand Koordination funktionieren und der Schüler die nötigen Bewegungsabläufe gut koordinieren.
Es ist wichtig zu beachten, dass Kinder sich in ihrem Entwicklungstempo unterscheiden. Einige Kinder erwerben diese Grundlagen früher als andere. Als Lehrer ist es wichtig, auf die individuellen Bedürfnisse und Fähigkeiten der Schüler einzugehen und sie entsprechend zu unterstützen. Durch gezielte Aktivitäten, Spiele und Übungen können Sie ihren Fortschritt in Bezug auf diese Grundlagen fördern und sie auf den Leseprozess vorbereiten.
Adios: Zuckerbrot und Peitsche
Lehrer sollten auf den Einsatz von Zuckerbrot und Peitsche im Unterricht verzichten, da diese Art der Motivation negative Auswirkungen auf das Lernumfeld und die Schüler haben kann. Einige Gründe, warum der Einsatz von Belohnungen und Bestrafungen im Unterricht überdacht werden sollte, liegen klar auf der Hand.
Intrinsische Motivation: Der Fokus auf äußeren Belohnungen wie Süßigkeiten, Preisen und Bestrafungen kann dazu führen, dass Schüler primär auf die Belohnung selbst ausgerichtet sind und nicht auf den eigentlichen Lerninhalt. Dies kann die intrinsische Motivation der Schüler untergraben, also ihre natürliche Neugier und Freude am Lernen. Wenn Schüler nur für die Belohnung lernen, kann dies zu einer oberflächlichen Lernhaltung führen. Schwache Schüler, merken schnell, dass sie nicht die gewünschten Erfolge erzielen und geben sich auf. Gute Schüler geben sich nur minimal Mühe, und auch nur so lange, wie die Preise angemessen sind. Auch sie nutzen ihr Portenzial nicht gewinnbringend.
Die Langfristige Motivation: Belohnungen und Bestrafungen sind oft kurzfristige Anreize, die die Schüler dazu bringen, bestimmte Ziele zu erreichen. Allerdings tragen sie wenig zur langfristigen Motivation und zum nachhaltigen Lernerfolg bei. Schüler sollten lernen, intrinsisch motiviert zu sein, indem sie ein Verständnis für den Wert des Lernens entwickeln und die Freude am Erwerb von Wissen entdecken. Gerade weil nicht alle Schüler gleich schnell lernen, ist es darum wichtig, Schüler selbstbetimmt im Lernweg einzubinden. Das funktioniert zum Beispiel, wenn Schüler mitentscheiden können, welche Aufgaben sie wie lösen. Ein besonderer Teacherhack: Vermeide deine Schüler zu kritisieren oder sie permanent auf Fehler hinzuweisen. Schüler jeden Alters lernen besser, wenn sie an sich glauben und merken, dass sie schon einen Teil des Lernwegsbewältigen können.
Kreativität und eigenständiges Denken: Die Verwendung von Belohnungen und Bestrafungen kann die kreative und eigenständige Denkfähigkeit der Schüler beeinträchtigen. Sie können sich auf das Erreichen der Belohnung oder das Vermeiden von Strafen konzentrieren, anstatt innovative Lösungsansätze zu entwickeln oder ihre eigenen Ideen zu entfalten. Die Förderung eines Umfelds, das kritisches Denken und Kreativität unterstützt, ist daher entscheidend.
Beziehungsaufbau und Vertrauen: Der Einsatz von Zuckerbrot und Peitsche kann zu einer negativen Lernatmosphäre führen und das Vertrauensverhältnis zwischen Lehrer und Schüler beeinträchtigen. Schüler könnten das Gefühl haben, dass ihre Leistung und ihr Verhalten von externen Belohnungen oder Bestrafungen abhängen, anstatt von einer unterstützenden Beziehung und einer wertschätzenden Lernumgebung.
Ethik und Gerechtigkeit: Das Verwenden von Belohnungen und Bestrafungen kann als ungerecht empfunden werden, da nicht alle Schüler auf die gleiche Weise auf diese Anreize reagieren. Würdest du es fair finden, wenn jemand immer die tollsten Belohnungen abräumt, weil er vielleicht einfach älter ist, als du, oder weil er schon etwas kann, was du erst noch üben musst?
Stattdessen können Lehrer alternative Ansätze wie die Förderung von intrinsischer Motivation, die Schaffung einer unterstützenden Lernumgebung, die Ermöglichung von Selbstständigkeit und kritischem Denken sowie die Entwicklung einer positiven Beziehung zu den Schülern nutzen. Indem wir Schüler dazu ermutigen, das Lernen als wertvolle Erfahrung an sich zu betrachten, schaffen wir nachhaltige Motivation und unterstützen ihr langfristiges Wachstum und ihren Bildungserfolg.
Liebe Grundschullehrer*innen, Lesen ist das Fundament für den Bildungserfolg der Schülerinnen und Schüler. Es öffnet ihnen Türen zu einer Welt des Wissens, der Fantasie und der persönlichen Entwicklung. Indem Du die Freude am Lesen förderst und deine Schülerinnen und Schüler dazu ermutigst, Bücher und Sachtexte zu erkunden, legst du den Grundstein für ihren Erfolg im schulischen und persönlichen Leben. Sei der Zauberer, der deinen Schülern die Magie des Lesens näherbringt!
Kategorien:Allgemeines, Lesekompetenz, Rund ums Lehramt



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